Rekonstruktion der Cantoramaorgel
Video von Jean-Marcel Schorderet
Zur Geschichte und Restaurierung/Rekonstruktion der Orgel von Johann Dreher aus dem Jahre 1786 in der alten Kirche Jaun (Cantorama).
Die ersten Angaben über die 2011 restaurierte und rekonstruierte Orgel der alten Kirche von Jaun finden sich in einer am 3. Herbstmonat 1786 durch Hans Peter Buchs, Notar an der darren, und durch Christen Löwenstein, Landweibel, abgelegten Rechnung. Aus dieser kann man folgern, dass die Orgel in freÿburg erstellt und von einem gewissen Joseph Schueweÿ nach Jaun geschaffen und geführt worden ist. Der orgel macher und dessen gesell werden zwar erwähnt, ihr Name jedoch verschwiegen, genauso wie jener des Schöpfers vom Zierath, d.h. der Verzierungen, die ebenfalls in freÿburg abgeholt werden mussten. Das Instrument war ver accordiert anfangs für ein und fünffzig Louisd’or, und einen neüen thaller für den Zollen, doch weill die orgel fleißig und gut gemacht, wurde dem orgel macher noch ein trinckgeld von einem letst neüen dublonen überreicht. Zudem wurde ein pohsitif und ein Clavier gekauft für den organisten, und andere lehrjungen zum gebrauch, wobei bezüglich des Claviers bemerkt wird, dass es auch von freÿburg biß hier getragen wurde. Weiter werden verschiedene Details bzw. Nebenarbeiten erwähnt (u.a. ein spiegel – das geschweiffte teffellet am orgel läubli und die zwo stüd [Säulen] darunter – Auslagen für den luganen [Drehpult(e) für Notenbücher] und weitere zweÿ stüd unter die bort lauben). Schliesslich wurden dem Pater Augustiner Florentin [P. Florentin Schilling (1847-1820), dem damaligen Organisten der Augustinerkirche in Freiburg] für die orgel zu aprobieren für reiß geld eine Krone und 17 Batzen bezahlt.
Die Jauner Orgel wird bereits am Ende des 18. Jahrhunderts zum ersten Mal im Schrifttum genannt, nämlich im fünften Brief des Coup-d’oeil sur une contrée pastorale des Alpes (in den Etrennes helvétiennes et patriotiques Pour l’an Grace […] 1799, S. 22-23) aus der Feder des bekannten Pastors Philippe Bridel (1757-1845), auf den sich später auch Tullio Dandolo in der Lettera CXVII. Bellegarde e Abla[e]ntschen, Band V, S. 140, des Viaggio per la Svizzera occidentale (erschienen in Mailand 1830) seines Werks La Svizzera considerata nelle sue vagheze pittoresche, nella storia, nelle leggi, e ne’ costumi stützt.
Anlässlich der 1808-1811 vorgenommenen Erweiterung der Kirche musste die Orgel zumindest demontiert und “zurückversetzt” werden. Weitere Veränderungen erfolgten im Jahre 1839 durch den Orgelnmacher Hans Moser, gewiss Jean (1792-1846), den Neffen des bekannten OrgelWindlade der alten Orgel Oben: Alte und neue Holzpfeifen in der Werkstatt der Firma Goll Rechts: Orgelgehäuse auf dem Estrich der neuen Kirche und Klavierbauers Aloys Mo(o)ser (1770-1839), der möglicherweise den Manualumfang von c’’’ bis f’’’ erweiterte. Auslagen für eine Reparatur des Instruments sind 1852 und 1853 bezeugt. 1867 erstellte Pierre Michel von Challes zu Maulles – Maules bei Sâles (FR) – einen Blasbalg neu und reparierte die Orgel. Vierzehn Jahre später führte der Sensler Orgelbauer Peter Niklaus Schaller (1843- 1914) eine Arbeit aus, welche der Organist von Galmis (Charmey), Bonaventure Bugnard, begutachtete. Obwohl man sich Ende des 19. Jahrhunderts mit der Frage eines Neubaus einer geräumigeren Kirche trug, liess man 1898 eine weitere Reparatur der Orgel durch den in Bulle ansässigen deutschen Orgelbauer Jean Ratzmann – ohne Zweifel den 1842 in Gelnhausen geborenen ältesten Sohn von Wilhelm August Ratzmann (1812-1880) aus der bekannten thüringischen Orgelbauerfamilie aus Ohrdruf und Gelnhausen – ausführen. Trotz dieses Umbaus war der Zustand des Instruments so bedenklich, dass bereits ein Jahr später ein Harmonium angeschafft wurde.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird der alten “unbrauchbaren” Orgel kein Interesse mehr entgegengebracht, zu sehr war man auf den Neubau einer geräumigeren Kirche (Grundsteinlegung im Jahre 1908) ausgerichtet, für welche eine Wiederverwendung des alten Instruments keineswegs in Betracht gezogen wurde. Dieses wurde in der alten Kirche belassen und zu einem gewissen Zeitpunkt auf deren Dachstuhl und später auf jenen der neuen Kirche gebracht, wodurch wenigstens Teile davon gerettet werden konnten, nämlich das Gehäuse, die Manualwindlade (C- und Cis-Seite), zwei der ursprünglichen drei Keilbälge, Teile der François Seydoux mit Intonator Christian Kubli Alte Orgel in Aubonne Windanlage und einige wenige, allerdings nicht aus der Entstehungszeit stammende Holzpfeifen; leider hat keine einzige originale Metallpfeife überlebt!
Immerhin war man sich sicher, dass die Orgel in Freiburg gebaut worden war, so dass es sich entweder um ein Instrument von Joseph Anton Moser (1731-1792), dem Vater des berühmten Erbauers der Orgel zu St. Nikolaus in Freiburg (Aloys), oder aber von Johann Dreher (oder Dreyer) (1776-l825) handeln musste. U.a. anhand eines Vergleichs mit der noch grösstenteils erhaltenen Brüstungsorgel Joseph Anton Mosers von St. Stephan (BE) aus dem Jahre 1778 konnte festgestellt werden, dass es sich nicht um ein Instrument dieses Meisters handeln konnte, sondern um eine Arbeit des eher als Klavierbauers bekannten Johann Dreher.
Die Wiederherstellung des Dreherschen Instruments, mit der im Jahre 2009 Orgelbau Goll AG, Luzern, beauftragt wurde, gestaltete sich allerdings nicht als leichte Aufgabe, da u.W. von Johann Dreher kein Vergleichsinstrument mehr existiert, sieht man vom (Haupt-)Gehäuse von Aubonne (l811/12) ab: die ebenfalls im Kanton Waadt erstellten Instrumente von Orbe (1797) und St-Saphorin (1812) wurden leider ersetzt. Immerhin konnten anhand von zwei «historischen» Postkarten, auf denen die Orgel Drehers von Orbe noch abgebildet ist, zumindest Schlüsse für die Rekonstruktion der Labien der Prospektpfeifen fürs Instrument von Jaun gezogen werden. Für die übrigen zu rekonstruierenden Teile versuchten die Orgelbauer von Luzern unter der Leitung von Simon Hebeisen (Geschäftsführer) und Christoph Stocker technische Planung) Schlüsse anhand des existierenden Materials (Windladen, Teile der Windanlage, aber auch Restteile der Mechanik) zu ziehen. Einzig für die Beschaffenheit und Konstruktionsweise des im Innern des Gehäuses aufgestellten Pfeifenwerks, vorab jenes aus Metall fehlten jegliche Vorlagen.
Die erhaltenen Gehäuseteile wiesen glücklicherweise noch die originale Fassung mit zwei Blautönen auf, die jedoch insbesondere wegen der beträchtlichen klimatischen Schwankungen auf dem Kirchenestrich sehr gelitten hatte (die Farbe war brüchig geworden, blätterte ab und deren Leuchtkraft war zudem durch eine Dreckschicht stark beeinträchtigt). Die Restauratorin Lotti Hegglin (Unterkulm) reinigte und retouchierte die originale Fassung, grössere Fehlstellen und die neu ergänzten Teile wurden neu gefasst (Ölfarbe mit Lasurschicht).
Der Zierat wurde, wie die Orgel, in Freiburg geschaffen. Er stammt ohne Zweifel aus der Werkstatt des bekannten Malers und Schnitzers Dominique Martinetti (1739-1808). Trotz zahlreicher Nachforschungen u.a. durch den Organisten Werner Schuwey konnten keine Verzierungen mehr aufgefunden werden konnten. Die Schnitzerarbeit wurde von den bekannten Schnitzern Richard Büeler (Schwyz) bzw. Hanspeter Stalder (Sursee) anhand noch erhaltenen oder belegten Schnitzwerks von Martinetti ausgeführt.
Somit kann sich Jaun nun rühmen das einzig bislang bekannte Orgelwerk von Johann Dreher – das nun stolz wieder auf der oberen Empore thront und durch die Balganlage mit den beiden originalen «Froschmäulern» und dem nun wieder analog rekonstruierten dritten Keilbalg auf der unteren «Laube» sogar mit “grünem Wind”, d.h. im Handbetrieb, versehen werden kann – den zahlreichen Besuchern der schmucken alten Kirche, die seit 1992 als «Cantorama», d.h. als “Haus des Freiburger Chorgesanges” dient, in ihrer lebendig-frischen Tonsprache, die ihr der Intonator Christian Kubli verliehen hat, vorstellen zu dürfen.
Hoffen wir, dass in Bälde auch die beiden anderen Instrumente des musikalischen Triptychons von 1786, nämlich das pohsitif und das [Tafel-]Clavier, die Herzen der Zuhörer von nah und fern erquicken werden können.
Literatur: Aus der Vergessenheit ins Rampenlicht: Die rekonstruierte Orgel im Cantorama (Alte Kirche Jaun), Sammelpublikation hrsg. von der Stiftung Alte Kirche Jaun (u.a. mit Beiträgen von Simon Hebeisen und François Seydoux sowie einem Interview – Werner Schuwey und Berthold Buchs im Gespräch mit Karl Buchs –), Jaun 2011 (mit weiteren bibliographischen Angaben)
Fribourg, den 19. März 2012
François Seydoux